Der erschwerte Traum vom Eigenheim

Die verschärften Regeln zur Immobilienkreditvergabe werden mit Besorgnis thematisiert – vor allem mit Blick auf Jungfamilien.
Der erschwerte Traum vom Eigenheim
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War die Nachfrage nach Wohnbaukrediten trotz steigender Zinsen bis Juli 2022 hoch geblieben, so hat die Österreichische Nationalbank (ÖNB) im Oktober „erstmals eine deutliche Reduktion der Neukreditvergaben beobachtet.“ Demnach erreichten die hierzulande neu vergebenen Kredite zur Schaffung und Erhaltung von Wohnraum im heurigen August mit 1.267 Millionen Euro den niedrigsten Wert seit Anfang 2017. Diesen Rückgang sieht die ÖNB „in engem Zusammenhang mit dem steigenden Zinsniveau, wobei steigende Immobilienpreise und die anhaltend hohe Inflation die Leistbarkeit von Immobilien generell weiter einschränken.“ Mit der mit 1. August 2022 in Kraft getretenen Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung (KIM-VO) und den entsprechenden neuen Vorgaben für Wohnimmobilienfinanzierungen steht dieser Rückgang der Neukreditvergaben offenbar nur indirekt im Zusammenhang: Laut ÖNB-Analyse nur insofern, als das hohe Wachstum in den Monaten davor auch vor dem Hintergrund von Vorzieheffekten angesichts der Erwartung steigender Zinsen sowie eben auch der KIM-VO zu sehen sei.

Alexander Stegbauer, Leiter „Raiffeisen Wien. Meine Stadtbank“, macht die in der zweiten Jahreshälfte zurückgegangene Nachfrage im Immobilienfinanzierungsgeschäft ebenfalls an den steigenden Zinsen sowie an den höheren Bau- und Lebenserhaltungskosten fest. „Ob Hausbau oder Wohnungskauf – derzeit warten viele Österreicherinnen und Österreicher ab, wie sich die Situation weiterentwickelt.“ Als Stadtbank habe man schon in der Vergangenheit sehr genau auf das Thema nachhaltige Leistbarkeit, vernünftige Laufzeiten und die Eigenmittelquote geachtet.

Ist dennoch schon ein direkter Einfluss dieser Verordnung auf das Wohnfinanzierungsgeschäft festzustellen? Von Seiten der Bawag heißt es dazu lediglich, man habe „schon in der Vergangenheit darauf geachtet, dass unsere Kunden einen soliden Eigenmittelanteil in die Finanzierung einbringen.“ Bisher sei alleine aufgrund der KIM-VO noch keine wesentliche Veränderung zu beobachten. Verbesserungsbedarf sehe man allerdings bei der genauen Definition einzelner Parameter, da aktuell Interpretationsspielräume bestünden.

Stegbauer sieht durch die Verordnung sehr wohl „da und dort den Weg zum Eigenheim erschwert.“ Besonders junge Familien würden von der Kreditfinanzierung ausgeschlossen, weil sie in ihrem Alter eben noch nicht den benötigten Eigenmittelanteil von 20 Prozent aufbringen könnten. Dabei seien gerade das oft Menschen, bei denen er sich bei der Rückzahlung keine Sorgen mache. All das führe zu einer Reduktion der Käuferquote.

Kunden sind verunsichert

Auch für Kurt Krystof, Leiter wohn² Wien Innere Stadt/Süd der Erste Bank der Österreichischen Sparkasse AG, zeigen sich schon nach den ersten Wochen zum einen „besonders für junge Familien, die sich langfristig Eigentum schaffen wollen, nachhaltige Einschränkungen.“ Zum anderen bei Kunden, die bereits Kapital in Form ihrer aktuellen Wohnimmobilie gebunden hätten: „Wenn dieses Kapital erst nach Übersiedlung in das neue Objekt verfügbar ist, kann eine dafür erforderliche Zwischenfinanzierung fast durchgängig nur unter Nutzung des eingeschränkten Ausnahmekontingents umgesetzt werden.“ 

Durch das gestiegene Zinsniveau, die ebenfalls gestiegenen Preise, die geänderte Verfügbarkeit von Baumaterialen und durch Unsicherheiten in der Energieversorgung sowie in der Inflationsentwicklung würden viele Kunden ihr Projekt eben nochmals neu beurteilen, so Krystof. Daraus zeige sich eine „Abkühlung“ am Immobilienmarkt. Und die KIM-VO verstärke diese Entwicklung zusätzlich.

Von der KIM-VO allein lässt sich also noch kein Rückgang der Nachfrage ableiten. „Man spürt aber seit einigen Wochen, dass viele Kunden, die bei uns anfragen, durch die gestiegenen Zinsen und die strengeren Vergaberichtlinien verunsichert sind“, sagt Wohnbau-Finanz-Experte Jonas Beckers, Geschäftsführung der LBE Finance GmbH und Infina Verbundpartner. Eine gute Beratung sei daher noch wichtiger geworden. „Aufgrund unser jahrelangen und sehr zahlreichen Bankenkooperationen haben wir jedenfalls weiterhin die Möglichkeit, gute Lösungsansätze für unsere Kunden zu finden“, so Beckers. In Bezug auf die Nachfrage könne er sagen, „dass wir aktuell sogar mehr Finanzierungsanfragen erhalten, da es den Kunden wichtig ist, eine unabhängige Meinung einzuholen.“

„Regulierung zeitnah evaluieren“

Gibt es aus der Sicht der Banken und Finanzexperten Nachjustierungsbedarf bei der KIM-VO? Die grundsätzliche Idee der Finanzmarktaufsicht, die Kreditvergabe zu verschärfen beziehungsweise mit der neuen Verordnung erreichen zu wollen, dass sich Verbraucher ihre Immobilienfinanzierung langfristig leisten könnten, sei sinnvoll, sagt Beckers. Allerdings ist seiner Meinung nach „nicht jede Finanzierung, bei der nicht alle neuen Vergaberichtlinien eingehalten werden können, eine nicht leistbare Finanzierung.“

Die Maßnahmen würden auch für Verbraucher gelten, die ein überdurchschnittliches Einkommen erwirtschaften, zum Beispiel gehobene Privatkunden, Selbstständige oder Freiberufler. Diese Kunden verfügten oft über hohe Eigenmittel und ausreichende Einnahmen, um die Finanzierung problemlos zurückführen zu können. Trotzdem, so Beckers, könne es seit dem 1. August 2022 auch bei dieser Zielgruppe zu einer Kreditablehnung kommen, da auch hier die Schuldendienstquote eingehalten werden müsse. Die Kreditrate dürfe maximal 40 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens betragen, bei einem Kunden, der monatlich 10.000 Euro netto verdiene, dürfe sich die maximale Kreditrate somit auf 4.000 Euro belaufen. „Sollte dieser Verbraucher jedoch bei Berücksichtigung der maximal möglichen Kreditlaufzeit von 35 Jahren rechnerisch 5.000 Euro pro Monat für die Rückführung benötigen, die er sich bei seinem Gehalt problemlos leisten kann, führt dies trotz ausreichender finanzieller Mittel und Sicherheiten zu einer Nichteinhaltung der KIM-VO und damit zu einer Ablehnung, sofern kein Ausnahmekontingent vorhanden ist.“ Dabei habe gerade diese Zielgruppe hohes Potential für ertragreiche und langjährige Geschäftsbeziehungen.

Kurt Krystof, Erste Bank, sieht vor allem für Jungfamilien, aber auch bei erforderlichen Zwischenfinanzierungen Anpassungsbedarf: „Wenn man junge Kreditnehmer nicht von der Möglichkeit der Wohnraumschaffung ausschließen möchte, ist eine Anpassung notwendig.“ So gebe es den Vorschlag, für Jungfamilien die Beleihungsquote auf 95 Prozent und die Schuldendienstquote auf 45 Prozent zu erhöhen.  

„Die kommenden Monate werden zeigen, wo es Nachholbedarf gibt“, sagt Alexander Stegbauer, Raiffeisen Wien. „Wenn man in so volatilen Zeiten eine Regulierung vornimmt, sollte man diese zeitnah evaluieren.“ Denn, wer sich einen Kredit – auf Basis unterschiedlicher Indikatoren – nachhaltig leisten könne, dem dürfe die Chance auf Wohneigentum nicht genommen werden. Zumal Immobilien, aufgrund der Unabhängigkeit von steigenden Mieten, ein Schlüsselfaktor beim Aufbau von Wohlstand und bei der Altersvorsorge seien. „Wir sehen es jedenfalls als unsere Aufgabe an, unsere Kundinnen und Kunden – sofern die nachhaltige Leistbarkeit gegeben ist – bei der Erfüllung ihres Eigenheimtraums zu begleiten“, betont Stegbauer.

„An der Praxis vorbei“

Die verschärften Vorgaben zur Immobilienkreditvergabe sind zuletzt auch auf höchster politischer Ebene mit Besorgnis thematisiert worden. So forderte Finanzminister Magnus Brunner – dessen Ministerium an der neuen Verordnung ja beteiligt war – in einem Brief an die FMA, eine Lockerung der eingeführten Neuerungen zu prüfen, da aufgrund der verschärften Bedingungen für die Kreditvergabe zunehmend die Situation eintrete, „dass die Menschen in unserem Land nicht mehr in der Lage sind, Zugang zu Krediten zu erlangen“. Insbesondere junge Familien seien nicht mehr in der Lage, sich eigenen Wohnraum zu schaffen, kritisierte der Finanzminister.

Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wiederum kündigte kürzlich an, eine Landeshaftung einführen zu wollen, um die erforderliche Eigenkapitalquote abzumildern. Bei einem Treffen mit Bankfachleuten sei man sich einig gewesen, dass die Regeln der FMA überschießend seien und an der Praxis vorbei gingen. Von Bankenseite sei berichtet worden, dass unter den aktuellen Bedingungen etliche Menschen keinen Kredit aufnehmen könnten, die bisher ohne Bedenken einen bekommen hätten. Vor allem Zwischenfinanzierungen seien jetzt sehr schwierig.

Seit Inkrafttreten der KIM-VO müssen die Banken denn auch für Zwischenfinanzierungen die Ausnahmekontingente in Anspruch nehmen. Deshalb gibt man von Seiten der WKO etwa zu bedenken, dass wohl viele Zwischenfinanzierungen abgelehnt werden müssten, um auch Jungfamilien im Rahmen der Ausnahmekontingente Kredit geben zu können.

Gibt es hier Anpassungsbedarf? „Gerade für Jungfamilien müssen die Ausnahmeregelungen erweitert werden“, sagt Jonas Beckers. Und weiter: „Dies könnte man zum Beispiel durch ein höheres Ausnahmekontingent oder durch die Verlängerung der maximal möglichen Kreditlaufzeit speziell für junge Familien erreichen, indem man den Mindesttilgungssatz analog zum deutschen Finanzierungsmarkt senkt.“ Hierbei müssten die Interessen der Jungfamilien mit der Nichtgefährdung der Finanzmarktstabilität in Einklang gebracht werden. 

Anpassungsbedarf bei Zwischenfinanzierungen?

Alexander Stegbauer sieht Anpassungsbedarf im Bereich Zwischenfinanzierungen: „Bei Kundinnen und Kunden, die sich einen Kredit sorgenfrei leisten können, greifen wir deshalb auf das angesprochene Ausnahmekontingent der FMA zurück.“

Die FMA konstatiert zum Thema Ausnahmekontingente und Zwischenfinanzierungen: „Dass sogenannte Zwischenfinanzierungen oft die in der KIM-VO festgelegten Grenzwerte nicht einhalten, war bekannt. Die Höhe der Ausnahmekontingente wurde daher so bemessen, dass Zwischenfinanzierungen trotzdem abgeschlossen werden können.“ Allerdings habe die Kreditwirtschaft bisher keine Daten über das Ausmaß der Zwischenfinanzierungen zur Verfügung stellen können – „wir mussten das Volumen daher auf Basis der vorhandenen Meldedaten schätzen“, sagt FMA-Mediensprecher Klaus Grubelnik.

Zum Vorschlag von der WKO, Zwischenfinanzierungen mit einer Laufzeit bis zu drei Jahren von der Verordnung auszunehmen, wenn die vorzeitige Rückführung der Zwischenfinanzierung – zum Beispiel durch Wohnungsverkauf – mit dem Kreditnehmer vertragsmäßig vereinbart worden sei, heißt es von der FMA: „Der Vorschlag klingt einfach und einleuchtend, ist in der praktischen Durchführung bei den Instituten und im Vollzug  jedoch ziemlich kompliziert und erhöht die Komplexität der ohnehin bereits sehr komplexen Verordnung.“ Dagegen spreche auch, „dass bei der Festlegung der Ausnahmekontingente die Zwischenfinanzierungen explizit berücksichtigt wurden und daher diese dann wieder zu reduzieren wären.“

Ob es generell an dem einen oder anderen Eckpunkt der Verordnung Anpassungsbedarf gebe, werde anhand der Daten zur Kreditvergabe und des breit gestreuten Feedbacks von den Instituten evaluiert werden. Zum derzeitigen Zeitpunkt könne man noch keine belastbaren Aussagen treffen, so Grubelnik. „Da die Meldepflichten zur KIM-VO erst mit Oktober in Kraft sind, wird es wohl bis März 2023 dauern, bis aussagekräftige Daten und Zeitreihen, die eine seriöse Analyse ermöglichen, vorliegen.“ Da überdies faktisch gleichzeitig mit der KIM-VO auch die Zinserhöhungen der EZB begonnen hätten – und weitere gravierende ökonomische Veränderungen eingetreten seien –, müssten deren Auswirkungen bei der Interpretation der Daten mitberücksichtigt werden.