Lego für Großes

Die Modulbauweise spart Kosten und Zeit – nicht nur beim Einfamilienhaus, sondern vermehrt auch beim großvolumigen Wohnbau.
Lego für Großes
© IMMY

Angesichts steigender Kosten für die Wohnraumschaffung stellt sich die Frage, wie viel Sinn es macht, nach wie vor jedes Objekt als Einzelstück zu planen und zu errichten. Wäre eine Lösung zur Kostenreduktion serielles Bauen? Vorbehalte gibt es. Zu stark haften noch die Erinnerung an monotone Ostblock-Plattenbauten aus der Nachkriegszeit. Sie zu belächeln, hält Ronald Mischek, Geschäftsführer der Dr. Roland Mischek ZT, allerdings für „vollkommen ungerechtfertigt“. Diese Reaktion sei in erster Linie emotional bedingt: „Die Grundrisse waren zu hundert Prozent auf die Bedürfnisse der Bewohner fokussiert und somit bis ins kleinste Detail durchgeplant. Da gab es keine ungenutzte oder unnutzbare Fläche, wie wir sie heute oftmals vorfinden. Ihr negatives Image haben sie nicht wegen der Bauweise an sich, sondern weil sie teilweise städtebaulich eine Katastrophe waren; viel zu eng nebeneinander platziert, wenig soziale Durchmischung sowie soziale Nachhaltigkeit und mit hässlichen, eintönigen Fassaden umkleidet.“

Mischeks Vater errichtete nach dem Zweiten Weltkrieg in Gerasdorf ein Fertigteilwerk, das allein in Wien etwa 150.000 Wohnungen nach dem Plattenbauprinzip – der Mischek Großtafelbauweise – baute. Noch heute produziert das Werk, das seit 2005 zur Strabag gehört, Stahlbetonfertigteile für jährlich rund 2.000 Wiener Wohnungen. Unter Mischek Systembau bietet die Strabag-Tochter mittlerweile ein Sortiment an unterschiedlichsten vorgefertigten Fertigteilen für den großvolumigen Wohnbau. Trotz Serienproduktion von Gebäudemodulen kann jedes Bauwerk prinzipiell ein einmaliges Projekt bleiben. Dank Roboter lassen sich heutzutage Fertigteile entsprechend technischer Rahmenbedingungen wie maximaler Größen, Gewichte und Öffnungsbreiten auch individuell produzieren.

Altes System neu aufgelegt

Mittlerweile setzen viele große Baufirmen auf die Vorfertigung von Wänden, Decken, Stiegenhäusern sowie Aufzugsschächten und bauen die Produktion massiv aus. Die Vorfertigung von Raumzellen wie Bad oder WC wurde laut Mischek aufgrund von Transportschwierigkeiten wieder aufgelassen. Den Einbruch der nach dem Zweiten Weltkrieg vorherrschenden Großtafelbauweise in den 1970er/1980er Jahren führt er allein auf den Pfusch am Bau zurück: „In dieser Zeit drängten viele Subfirmen aus Osteuropa in den Markt und drückten die Preise mit günstiger Arbeitskraft.“ Warum sich das System der seriellen Produktion nicht weiter durchsetzte, hat aber noch andere Gründe. „Das System der Plattenbausiedlungen mit immer gleichen Häusern hat super auf der grünen Wiese am Stadtrand funktioniert, wo sie heute noch zu finden sind. Gestalterisch waren sie allerdings kritisch und vor allem die soziale Durchmischung war wie schon gesagt nicht gegeben. Neben den dadurch entstandenen gesellschaftlichen Problemen erkannten die Kommunen, dass das Wachsen der Stadt am Stadtrand extrem teuer ist, da Infrastruktur gebaut werden musste. Deswegen konzentrierte man sich, als die größte Wohnungsnot vorbei war, auf die Verdichtung der Bestandsstadt, wo die ‚Systemplattenbauten‘ nicht funktionierten“, erklärt Mischek.

Dass heute im großvolumigen Wohnbau wieder und fast nur mehr mit vorgefertigten Elementen gearbeitet wird, hängen Baufirmen aufgrund des Negativimages von Plattenbauten nicht gerne an die große Glocke. Dabei existieren in der Bundeshauptstadt viele Vorzeigebeispiele, etwa den anno 2000 fertiggestellten Mischek Tower. Bei dem 110 Meter hohen Monolithen handelt es sich um das höchste aus Fertigteilen errichtete Gebäude der Welt. Dabei stellt sich eine zweite Frage: Ist finanzierbarer, großvolumiger Wohnbau überhaupt noch ohne modulare Vorfertigung möglich? Ronald Mischek antwortet: „Mir fehlen die Alternativen. Ich denke, es geht nur mehr so. Es mangelt heute schon an Fachkräften für den Bau. In den nächsten Jahrzehnten wird sich dieses Problem weiter verschärfen. Hinzu kommt die Material- und Kosteneffizienz des modularen Systems. Bei der Vorfertigung sparen wir uns zehn bis zwanzig Prozent Material, weil die Teile exakter produziert werden. Viele individuell geplante Wohnbauten sind defacto ein Prototyp. Der modulare Wohnbau profitiert von seiner Wiederholbarkeit. Gleichzeitig ermöglicht er eine steile Lernkurve und damit verbunden eine qualitative Verbesserung von Projekt zu Projekt.“

Unterschiedliche Bauordnungen als Bremsen

In die gleiche Kerbe schlägt Hans Jörg Ulreich, Geschäftsführender Gesellschafter von Ulreich Bauträger: „Das serielle und modulare Bauen stellt eine zukunftsfähige Weiterentwicklung im Bereich der Bautechnik im großvolumigen Wohnbau dar. Da viel zu teuer gebaut wird, könnte ein hoher industrieller Vorfertigungsrad dazu beitragen, Baukosten zu senken. Die serielle Vorfertigung sowie das Zusammenfügen der vorgefertigten Elemente à la Lego auf der Baustelle könnte ebenso dem Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel entgegenwirken.“ Aktuell würden aber Regulatorien wie etwa die vielen unterschiedlichen Bauordnungen blockieren, dass sich diese Systeme durchsetzen. „Natürlich erschweren auch die jeweils unterschiedlichen Grundstücksgrößen und -schnitte den seriellen Modulwohnbau im großen Stil,“ ergänzt Ulreich.

Die größte Problematik in der Umsetzung ortet Zivilingenieur Mischek hingegen aktuell in der Planung. Man habe verlernt, Modulwohnbau gut zu planen: „Diese Art des Wohnbaus erfordert sehr genaue Überlegungen und Fachwissen beispielsweise hinsichtlich Stützbreiten oder Verbindungsknoten und eine sehr detaillierte Planung, damit das Modulsystem in der Produktion und auf der Baustelle bestmöglich umgesetzt werden kann. Mir fehlen da noch die Ernsthaftigkeit und der Wille in der Branche.“ In Deutschland werde das Konzept laut Mischek angesichts des großen Mangels leistbarer Mietwohnungen ernsthaft verfolgt. Schon vor mehreren Jahren wählte eine Jury die 25 besten seriellen und modularen Konzepte zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und schuf Rahmenvereinbarungen für deren Umsetzung. Erst im Oktober 2023 erhielten erneut zwanzig Bieter Bauaufträge. Für Mischek liegt in dieser Vorgehensweise die Zukunft, wenngleich er in Österreich aufgrund des nur mehr begrenzt zur Verfügung stehenden Baulandes im städtischen Bereich kaum noch Spielraum für derartige Umsetzungen sieht.

Innovative Holzmodulbau-Konzept

Aktuell im Kommen ist der mehrgeschoßige Wohnbau mit Holzmodulen. Hier ist die serielle Vorfertigung wesentlicher Bestandteil der Bauweise und der Einsatz von vorgefertigten Raummodulen, teils auch in hybrider Ausführung mit Beton oder Stahl Usus. Das 2019 gegründete, deutsche PropTech Gropyus beispielsweise entwickelte ein Verfahren, das mehrgeschoßige Holz-Hybrid-Mehrfamilienhäuser in einem digitalisierten, vollautomatisierten und industrialisierten Prozess produziert. 2022 wurde das erste Wohngebäude in serieller Holz-Hybrid-Bauweise in Weißenthurm bei Koblenz fertiggestellt. Es verfügt über eine Bruttogeschossfläche von 4.193 Quadratmetern, verteilt auf 54 Wohnungen in neun Geschoßen und wurde in elf Wochen errichtet. Der Spatenstich des nächsten Projektes mit rund hundert Wohneinheiten steht bevor.

Die österreichische LZH Group wiederum stellte nach dem seriellen Bauprinzip seit 2018 rund 200 Mietwohnungen fertig, weitere 500 sind in Umsetzung. Dabei zielt das Unternehmen mit seinen Projekten auf Gemeinden mit mehr als 2.000 Einwohnern, starkem historischen und zukünftigen Bevölkerungswachstum sowie guter Infrastruktur und Anbindung an lokale Ballungszentren ab. Eine der größten Stärken des Prinzips sei die Skalierbarkeit über Standardisierung und Vorfertigung mit wesentlichen Vorteilen hinsichtlich Preise, Geschwindigkeit und Qualität, sagt Managing Partner Rafael Lughammer: „Die größten Kosteneinsparungen kommen aus dem hohen Effizienzgewinnen in der Planung, Qualitätssteigerungen durch die Standardisierung in der Bauteilproduktion und den hohen Wiederholungsfaktor in der Umsetzung.“ Durch den hohen Automatisierungs- und Standardisierungsgrad könne die LZH Group auf rund zehn Prozent unter dem Marktpreis bei einer Bauzeit von unter zwölf Monaten bauen. Zusätzlicher Vorteil: geringere Finanzierungskosten und frühzeitigere Mieteinnahmen. Bei der Projektentwicklung verfolgt die LZH Group eine übergeordnete Produktstrategie ähnlich der Automobilindustrie. „Wir haben unterschiedliche bewährte Modelle in Form von Baukörpern und Grundrissen. Regelmäßig wird diese Produktpalette, abhängig von Marktbedürfnissen, einem ‚Facelift‘ unterzogen und bei Bedarf um neue Modelle ergänzt. Die Zusammensetzung erfolgt über standardisierte Module, abhängig vom Modulbaupartner entweder als Bauteile oder ganze Raumzellen,“ so Lughammer. Der Modulbau sei trotzdem sehr flexibel und böte die Möglichkeit, auf individuelle Spezifika von Projekten einzugehen: „Entscheidend für den erfolgreichen Einsatz von seriellen Bauweisen ist, bereits bei der Grundstücksauswahl die Bausysteme mitzudenken. Oftmals sind es nicht nur die Form oder Art des Grundstücks, die ein Projekt beeinflussen, sondern auch lokale Bauvorschriften bezüglich des Ortsbilds und spezifische Anforderungen wie eine Mindestanzahl an Parkplätzen.“ Die unterschiedlichen und komplexen Bauordnungen der Länder würden häufig ein Hindernis darstellen und die flächendeckende Anwendung erschweren. Und individuelle Anpassungen mindern natürlich die Vorteile der Standardisierung.

Warum sich das serielle und modulare Bauen aktuell noch nicht im großen Stil durchgesetzt hat, erklärt sich Lughammer allerdings damit, dass traditionelle Bauweisen in Österreich nach wie vor stark verankert sind und viel Skepsis gegenüber neuen Methoden herrsche. Auch fehle Baufirmen vor Ort noch die Erfahrung mit seriellem und modularem Bauen: „Das ändert sich jedoch, da sie schnell dazulernen. Die Lernkurve im Modulbau ist steil.“ Der Modulbau erfordert jedenfalls eine Betrachtung des gesamten Wertschöpfungsprozesses; anders als früher, als Planung und Ausführung oft getrennt waren.