Mangelwirtschaft kannte man bisher nur vom Hörensagen. Seitdem Krisen- und Konfliktherde Zentraleuropa erreicht haben, muss man auch damit Bekanntschaft machen. Wohnungskäufer berichten von Wartezeiten, zum Beispiel bei Fliesen und Küchen, die auf einmal ein halbes Jahr ausmachen. Die Plan- und Durchführbarkeit von professionellen Baustellen ist nicht weniger stark betroffen. Lieferprobleme, Materialpreise oder Baukosten sind wahlweise die Themen. Der Baukostenindex beim Wohnhaus- und Siedlungsbau ist bis März in einem Jahr um sechzehn Prozent nach oben geschnellt. Die um bis zu hundert Prozent gestiegenen Materialkosten sind die eigentliche Ursache dafür, wobei im Wesentlichen die galoppierenden Energiepreise dafür verantwortlich gemacht werden. „Die Gaspreise haben sich zuletzt verfünffacht“, berichtet Raimund Heinl, Geschäftsführer für den deutschsprachigen Raum beim Baustoffproduzenten Saint-Gobain und er folgert für die Glasproduktion: „Wenn der Kostenfaktor Energie rund ein Fünftel ausmacht, ist das Produkt auf einmal doppelt so teuer.“
Nicht nur Glas, auch Ziegel, Baustahl und Alu, Zement sowie der Baustellenverkehr gelten als besonders energieintensiv. Auch bei Folien, Rohren und bei Dämmmaterialien wird von erheblichen Preissteigerungen berichtet. „Das Verfügbarkeitsproblem der Rohstoffe sollte in den nächsten Monaten besser werden, jedoch sehen wir im nächsten Jahr keinen Rückgang der Rohstoffpreise“, sagt Georg Bursik, Geschäftsführer der Baumit GmbH. Die gesamteuropäische Lage infolge des Kriegsgeschehens fordert alle Länder heraus und das Deutsche Baugewerbe schlägt Alarm: „Lieferengpässe und vor allem die daraus resultierenden Preissteigerungen bei Baumaterialien stellen unsere Unternehmen vor große Herausforderungen.“ Für Baumaterialien seien nur noch tagesaktuelle Preise und oftmals auch keine Lieferzusagen mehr zu bekommen. Damit sei es infolge unmöglich, Angebote fertig zu machen oder selbst Bauprodukte zu beschaffen. „Hier brauchen wir eine andere Form der vertraglichen Zusammenarbeit,“ heißt es im April aus dem Zentralverband Deutsches Baugewerbe.
Die Lage hierzulande ist nicht anders und weil vorerst keine Lösung in Sicht ist, sehen Bauträger von Ausschreibungen auch ganz ab. Zuerst sind jene betroffen, die ein enges Kostenkorsett haben, allen voran die gemeinnützigen Bauträger. „Von vielen Mitgliedsunternehmen hört man, dass sie gar nichts mehr ausschreiben, weil sie keine oder keine finanzierbaren Angebote bekommen“, sagt der neue Obmann des Verbandes gemeinnütziger Bauvereinigungen (GBV), Klaus Baringer. Bestbieter würden aktuell um dreißig Prozent über der Ausführbarkeitsgrenze (so genannte Führbarkeit) liegen. Die höchstzulässigen Förderungssätze sind in manchen Bundesländern mittlerweile angepasst worden. Beim Verband der GBV betont man, auch durch die Kombination mit der Zinswende und den zuletzt immer weiter gestiegenen Grundstückskosten am Limit angekommen zu sein. „Diese explosive Mischung macht neuen sozialen Wohnbau zu leistbaren Preisen nahezu unmöglich“, warnt Baringer und er rechnet damit, dass die Entwicklungen bereits in ein bis zwei Jahren eine Verknappung im leistbaren Wohnangebot nach sich ziehen werden.
Von sich stabilisierenden Baupreisen geht man mittel- bis langfristig dennoch aus. Dies deshalb, weil infolge der allgemeinen Produktknappheit gehortete Bestände und Preisübertriebenheit sich am Ende wieder auflösen sollten. „Sanierungstätigkeit ist wegen der geringeren Materialanteile an den Gesamtkosten weniger betroffen“, sagt der stellvertretende GBV-Verbandsobmann Herwig Pernsteiner, und außerdem sei man betreffend Durchführungszeitpunkt flexibler. Bei den gemeinnützigen Bauträgern erneuert man jedenfalls das Versprechen der Kostensicherheit für Mieter im Bestand, wovon naturgemäß die Betriebskosten ausgenommen sind. Die vorgefundenen Baukosten seien jedenfalls im Korsett der Förderungen nicht unterzubringen und man ermahnt die Politik, hier Maßnahmen zu setzen.
Angesichts der drückenden Kosten stellen sich private Bauträger die Frage, wie man damit umgehen kann und wer das Risiko der gestiegenen Kosten letztlich zu tragen hätte. Laut HSP Rechtsanwälte ist das vertragliche Argument der „höheren Gewalt“ nur ein theoretischer Anker. Praktisch gesehen sieht Kanzleipartner Peter Fassl mit wachsendem zeitlichem Abstand die Anwendbarkeit einer solchen Klausel als fragwürdig: „Höhere Gewalt bedeutet ein von außen einwirkendes, unabwendbares und unvorhersehbares Ereignis.“ Dies gelte höchstens für die knapp vor dem Kriegsausbruch mit Baudienstleistern abgeschlossenen Verträge. Auch hier sei aber die Anwendbarkeit kritisch zu hinterfragen. Bei Neuabschlüssen wäre zurzeit besondere Sorgfalt angebracht, um beispielsweise die Frage der Risiko-Sphäre zu klären.
Im Fall der Unterordnung der Verträge nach ABGB oder nach ÖNORM würden sich diametral unterschiedliche Zuordnungen ergeben. Beim ABGB sei das Risiko von weiteren Preisanstiegen dem Auftragnehmer, also der Baufirma, zuzurechnen. Der Spielraum für nachträgliche Preisanpassungen wiederum sei da beschränkt. Deswegen könnte das in der derzeitigen Situation eher auf teure Fixpreisabmachungen hinauslaufen. In variablen Einkaufspreisen sieht man bei der Anwaltsfirma FSM im Immowebinar des Fachverbandes der Immobilien- und Vermögenstreuhänder unter Einhaltung gewisser Bedingungen Möglichkeiten, trotzdem zu einer Auftragsvergabe zu kommen.
Der Architekturplaner Andreas Hawlik kennt „Gleitpreisklauseln“ aus der Praxis und beim Branchenevent Immodienstag nannte er Beispiele: „Die variablen Preise von Stahl, Beton und Holz sind bei zwanzig Prozent einzuschätzen.“ Dort teilte er Informationen, wie man vielleicht doch mit Fixpreisen operieren kann: „Wenn man den Weg über viele Einzelvergaben geht, werden die Abschnitte automatisch kürzer und das Preissteigerungsrisiko wird absehbar.“ Bei weiter zu erwartenden Lieferengpässen dürfte sich allerdings das System der Pönalen ad absurdum führen. Hier müsse zumindest ein Puffer eingebaut werden.
Hawlik beschreibt einen alternativen Weg für die Auftragserfüllung: „Für den Fall, dass zeitgerecht fertiggestellt wird, kann man genauso gut eine Prämie vorsehen.“ Auf die Einhaltung der vertraglichen Bedingungen bei Baudienstleistern zu bestehen, das könnte einzelne Dienstleister bald über Gebühr strapazieren. Darauf verweist Hawlik und begründet: „Die Baupreise ziehen zwar immer noch an, aber die Baukosten sind volatiler.“ Da geht sozusagen eine Schere auf und treffen könnte es zunächst das Baunebengewerbe. Beispielsweise könne für kleine Bauschlosserbetriebe die finanzielle Last infolge der Einhaltung der Konditionen erdrückend werden. Ein Suchen von Kompromissen beziehungsweise ein anzustrebender Interessensausgleich steht angesichts dessen im Raum.
Bei Premium Immobilien sieht man bezüglich Weitergabe von Preiserhöhungen seitens der Vertragspartner Zurückhaltung. Martin Pober, im Unternehmen für Projektentwicklungen zuständig, erklärt sich das so: „Wir arbeiten mit Firmen langjährig, teilweise schon seit dreißig Jahren, zusammen und wir vergeben die Aufträge direkt und ohne Generalunternehmer.“ Im Übrigen müsse „die Projektpipeline“ auch jetzt weiter befüllt werden. Ein Vorteil sei, dass man auf weniger betroffene Märkte in andere Länder ausweichen kann. Umgekehrt würden sich im aktuellen Umfeld auch Chancen auftun. „Wir bekommen so viele fertig entwickelte Projekte angeboten wie noch nie“, sagt Pober. Projektbetreiber, die sich in der aktuellen Situation mit dem Risiko nicht weiter übernehmen wollen oder auch finanziell limitiert sind, würden nämlich „den Exit“ suchen.
Wer ebenfalls offensiv mit der Situation umgeht, ist die 3SI Immogroup. „Trotz der aktuell von vielen als vermeintlich unsicher wahrgenommenen wirtschaftlichen Lage kaufen und bauen wir weiterhin so intensiv, wie das in den letzten Jahren der Fall war“, sagte Geschäftsführer Michael Schmidt anlässlich eines Liegenschaftserwerbs am Kagraner Platz in Wien Donaustadt. Weitere Bauprojekte sollen der Öffentlichkeit demnächst präsentiert werden. „Für uns gibt es keine Reduktion der Bautätigkeit, auch wenn aktuell die Themen Energie- und Rohstoffpreisanstieg medial sehr präsent sind“, betonte Schmidt und führte aus warum: „Wir sind mit all unseren Bauprojekten im Zeitplan, denn Lieferengpässen sind wir durch die Einlagerung von ausreichend Material zuvorgekommen.“ Abgesehen davon gehen Brancheninsider davon aus, dass Projekte im hochwertigen Segment grundsätzlich weniger unter den zwischenzeitlich gestiegenen Kosten leiden. Für renditestarke, investorengetriebene Objekte scheint es aktuell auch keinen Halt zu geben. Die Wohnkompanie berichtet im Mai vom Spatenstich für ein Mietwohnprojekt mit Investorenhintergrund in Wien Favoriten. Der Fertigstellungstermin wird mit Sommer 2023 gleich mitangekündigt.
Gestiegene Preise über die Kaufvertragsgestaltung an Wohnungskäufer weiterzugeben, sei laut FSM Rechtsanwälte denkbar. Sowohl dem Bauträgervertragsgesetz und das Konsumentenschutzgesetz müsse aber Genüge getan werden. Die Preisdurchsetzungsstrategie auf künftige Kaufverträge beim Wohnungseigentum anzuwenden, scheint marktseitig aber sehr herausfordernd. „Die Preissteigerungen werden nicht zu hundert Prozent weitergegeben werden können“, erläuterte der Kommerzkundenvorstand der Raiffeisenlandesbank Wien-NÖ, Peter Brezinschek. Das Wirtschaftswachstum sei nämlich gestoppt und es gäbe daher weniger Kaufkraft. Bei Raiffeisen Research sieht man wegen der gesunkenen Leistbarkeit infolge von Inflation die Dynamik insgesamt am Abflachen. Strengere Regeln bei Wohnungskrediten sind nebenbei in Erwartung. Peter Weinberger, Geschäftsführer der Raiffeisen Immobilien Vermittlung, berichtete von einer Seitwärtsbewegung: „Der Wohnungskauf ist mangels Eigenkapital immer öfter aufgeschoben.“
Den aktuell gestiegenen Abstimmungsaufwand im Bereich der Projektabwicklung und in der Organisation der Abläufe will mancher Digitalisierungsanbieter für eine Bewährungsprobe nutzen. Bei Propster sieht man das Argument der höheren Transparenz jetzt als schlagend. „Kommunikation über den Baufortschritt der Immobilie spielt für den Erwerber eine wesentliche Rolle“, sagte Geschäftsführer Milan Zahradnik anlässlich einer Kooperation mit der Crowdfunding-Plattform Rendity. Dort betont man die Bedeutung eines laufenden Reportings im unsicheren Umfeld. Das derzeit wahrlich nicht leichte Thema der steigenden Baupreise und unterbrochenen Lieferketten bleibt für alle Beteiligten herausfordernd.